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Vortrag von Rainer Pentner im Bürgerhaus: Bilder aus Oberkotzau aus der Zeit zwischen den Weltkriegen


So voll wie am 1. März war das Oberkotzauer Bürgerhaus noch selten, aus dem ganzen Haus mussten die Stühle herbeigeholt werden: Das Thema "Bilder aus Oberkotzau aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen" interessierte Alt und Jung. Das Oberkotzauer Bündnis für Toleranz und Demokratie mit Reiner Hager und Andreas Sorger an der Spitze hatte eingeladen, und die Menschen kamen in Scharen. Für manche Besucher und Besucherinnen lag der Schwerpunkt bei den alten Gebäuden und den ehemaligen Besitzern und Bewohnern. Für andere war das auf den Bilder deutlich sichtbare Erstarken des Nationalsozialismus nach dem Ersten Weltkrieg und die Auswirkungen auf die jüdischen Mitbürger bedeutsam. Rainer Pentner, dem Besitzer der unglaublich umfangreichen Bildersammlung, blieb nur, jedes einzelne Bild zu erläutern, Namen und Zusammenhänge zu nennen, die verschiedenen Neubauten und Abbrüche zu kommentieren und die zeitlichen Abläufe immer wieder zu aktualisieren.
Oberkotzau bekam bereits im Jahr 1444 das Marktrecht, und darauf ist zurückzuführen, dass sich Handel, Gewerbe, Handwerker und Gastronomie ansiedelten: Auch die ersten jüdischen Bürgerinnen und Bürger kamen in die Gemeinde. Das ist nachvollziehbar, da es alte Karten gibt, in denen eine Judenbegräbnisstätte eingezeichnet ist: In einem Waldstück Richtung Woja. Jüdische Grabstätten wurden stets und überall relativ weit entfernt von den Wohngebäuden angelegt. Eine Synagoge gab es in früheren Zeiten auch, sie befand sich unterhalb des Oberkotzauer Schlosses. Und Rainer Pentner konnte anhand seiner Bilder auch verdeutlichen, wo sich einst die Judengasse befunden haben muss. Die Entwicklung des Ortes, dessen Zentrum stets der Marktplatz war, verdeutlichte das Wachstum. 1848 kam die Bahn nach Oberkotzau; das Bahnhofsgebäude war vorerst winzig, aber der Bahnverkehr enorm. Oberkotzau war ein wichtiger Rangierbahnhof, einer der größten Deutschlands. Zwölf Bauernhöfe und elf Gastwirtschaften um Marktplatz und Bahnhofstraße gehörten zum Gemeinwesen. Die Kappelbrücke über die Saale, dann über die Gleise, die Kirche und das Rathaus bildeten den Mittelpunkt Oberkotzaus. Die negative wirtschaftliche Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg beförderte das Anwachsen rechtsnationaler Gruppierungen, und schnell kam die Partei NSDAP auch in Oberkotzau ans Ruder. Auf vielen Bildern wurde deutlich, wie die Nazi-Honoratioren es schafften, die Bevölkerung auf die Straße zu bekommen. Wer nicht mitlief, wurde isoliert und verunglimpft - heute würde man sagen "diskriminiert". Jede Gelegenheit wurde genutzt, um großartige Umzüge mit vielen Fahnen, mit Uniformen und großem Pomp, mit Reden und dem Aufmarsch der damaligen politischen "Prominenz" und Machthaber zu inszenieren. Davon zeugen zahlreiche Bilder aus der Sammlung von Rainer Pentner. Die idyllische kleine Ortschaft wurde - wie alle anderen Orte auch - militarisiert bis zum Kriegsausbruch. Und es wurde rasch klar, dass die neuen Herren feindlich gegen die jüdische Bevölkerung eingestellt waren. Mehr als 50 Jahre betrieb der jüdische Arzt Dr. Julius Joachimczyk seine Praxis in Oberkotzau. Er war Bahnarzt, Sanitätsrat und im Ersten Weltkrieg zuständig für Verwundete und Kriegsopfer: Ein angesehener Oberkotzauer Bürger. Mehrmals wechselte er Wohnhaus und Praxisräume, er verbesserte seinen Standard dabei immer wieder - aber im Jahr 1938 kam für ihn das Berufsverbot. Er war 71 Jahre alt, als er durch die Machenschaften der Nationalsozialisten seine Approbation verlor, 1942 wurde er nach Theresienstadt verschleppt, wo er bald darauf verstarb.
Ein weiterer Oberkotzauer Bürger jüdischen Glaubens war Wolf Marcus, der mit seinem Bruder Walter Marcus eine große Porzellanfabrik aufgebaut hatte, mit der er vielen Menschen Arbeit und Brot verschaffte. Er war ein sehr sozial eingestellter Mensch, baute den ersten Sportplatz im Ort, spendete 40.000 Ziegel für den Bau der Turnhalle und ermöglichte seinen Arbeitern durch den Erwerb von günstigem Bauland den Bau kleiner eigener Häuser; die Siedlung "Hasenheide" entstand. Im Jahr 1911 war er nach Oberkotzau gekommen und trug viel zur Entwicklung des Ortes bei - bis das Naziblatt "Der Stürmer" anfing, diese Arbeit durch Hass und Hetze zu zerstören. Familie Wolf ging 1939 nach Berlin zurück, von dort aus wurden sie erst nach Theresienstadt verbracht, Wolf Marcus verstarb 1943 in Theresienstadt. Frau Paula Marcus wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Adolf Benker, Besitzer einer Autozentrale in Oberkotzau, war mit einer Jüdin verheiratet. Die Tochter hieß Hanni und war Halbjüdin. Sie wurde deshalb von einer öffentlichen Tanzveranstaltung ausgeschlossen. Hanni wanderte nach Amerika aus, die Spur ihrer Mutter verliert sich - möglicherweise ist sie mit nach Amerika ausgewandert. Die Geschichten sind ausführlicher nachzulesen in dem Buch des Historikers Dr. Ekkehard Hübschmann "Jüdische Einwohner von Oberkotzau und Schwarzenbach an der Saale - Schicksale und Verfolgung im Nationalsozialismus".
Am Ende des Abends dankte Reiner Hager allen Besuchern für ihr Kommen, für die Diskussionen und Beiträge, dem Referenten Rainer Pentner für seine vorbereitenden Arbeiten samt Vortrag, sowie dem Bundesprogramm "Demokratie leben!" für die Unterstützung aller Aktionen des Oberkotzauer Bündnis. Er lud ein zur Beteiligung an der Fahrt zur KZ-Gedenkstätte Flossenbürg am Mittwoch, 17. Mai 2023; Anmeldung über info@buendnis-oberkotzau.de .
Das Ziel des Abends, Vergangenheit anschaulich zu machen, wurde mehr als erreicht.


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